room for humour

Press Archive 1998

Fürther Nachrichten, 1998, REGINA URBAN

 

Theaterköpfe aus spitzer Feder

Der Berliner Karikaturist Harald Kretzschmar zeigt im Stadttheater Acrylporträts von Autoren und Akteuren

Der 1995 verstorbene Dramatiker und Theaterregisseur Heiner Müller, aus dem Blickwinkel des Karikaturisten Harald Kretzschmar. Foto: Winckler

Könnten sie sich sehen, all die Theaterakteure und –autoren, die zur Zeit im Foyer des Stadttheaters als Karikaturen ausgestellt sind, wären sie sicher nicht immer begeistert. Manche würden schmunzeln, manche würden nachdenklich werden, und manche würden sich vielleicht beleidigt abwenden.

 

Vielleicht haben sie sich ja auch gesehen, immerhin hat Harald Kretzschmar, von dem diese mit spitzer Feder und Acrylfarben gestalteten Kopfbilder stammen, vier Bücher mit gesammelten Karikaturen von Persönlichkeiten des politischen und kulturellen Lebens veröffentlicht, hat für die satirische Wochenzeitschrift Eulenspiegel von1958 bis 1991 über 1300 Prominenten-Porträts gezeichnet, hat sie den neugierigen, möglicherweise auch spöttischen Blicken eines großen Publikums bei internationalen Ausstellungen preisgegeben. Die Auswahl von Dichtern und Schauspielern, die jetzt im Theaterfoyer zu sehen ist, wurde von dem in Berlin lebenden Karikaturisten exklusiv für diesen Ort zusammengestellt.

 

Da begegnet man einem grüngesichtigen Peter Handke mit dünnen Lippen und zusammengekniffenen Augen, einem herrschaftlich dreinblickenden Max von Sydow mit hochrotem Kopf, einer elisabethianisch stolz anmutenden Elfriede Jelinek, einem froschäugigen, schielenden Jean-Paul Sartre, einem resignierten Heinrich Böll. Eugène Ionesco plaudert, im Sessel sitzend, nonchalant mit einem Rhinozeros, Christoph Schlingensief lächelt schief und jungenhaft und wird – im ironischen Kontrast zu seinem Ruf als enfant terrible des deutschen Theaters – als „der Liebe“ tituliert.

 

Rolf Hochhuth schaut zerquält und weinerlich, Heiner Müller grinst spitzgesichtig und empfindsam durch die Brillengläser, Bernhard Minetti ist so knochig, weiß und eingefallen, dass er an einen freundlich lächelnden Totenkopf erinnert. Federico Fellini trägt, das Jacket voller gieriger Gesichter, eine dralle Nackte auf den Schultern.

 

Die drastische Überzeichnung liegt in der Natur der Karikatur. Kretzschmar, der erst vor wenigen Jahren anfing, seine Feder- und Pinselzeichnungen mit Acrylfarben auszumalen, hat einen sehr genauen und sensiblen Blick für die Eigenheiten seiner „Opfer“.

 

Wie psychologische Studienobjekte analysiert er sie und ihre Themen und entdeckt dabei manchmal auch tierische Analogien.

 

Frosch am See

Martin Walser hockt breitbeinig wie ein Frosch am See und angelt nach einer winzigen scherzenden Nymphe. Ein fledermausartiger Franz Kafka trägt die ganze Last seiner finsteren Szenarien auf den Schultern, Klaus-Maria Brandauer sitzt mit hinterlistig grinsendem Katergesicht am Tisch, Günter Grass hat sich in einen Butt verwandelt.


Bei aller schonungslosen Offenlegung auch unsympathischer Eigenschaften, sind Kretzschmars hervorragend gezeichnete Karikaturen nie boshaft, sondern schlicht treffende Übersetzungen von typischen Gesichtszügen. Gesten und Haltungen. Auch wenn er mit seinem Gegenüber nicht übereinstimmt, nähert er sich ihm mit Respekt.

 

So kommt, wenn der 67jährige seine Arbeit beschreibt, auch seine Bewunderung für die Dichter und Denker, für die Literatur- und Theaterschaffenden zum Ausdruck: „Ich sehe sie hinter den Zeilen, diese prallen oder hypersensiblen, nonchalanten oder zweifelzerfressenen, zagenden oder tollkühnen Gestalten. So mache ich mir ein Bild von ihnen, ein möglichst drastisches…Ich studiere an ihnen Exempel schöpferischer Erregung. Ich will an ihnen kein Exempel statuieren, meine Interpretation ist freibleibend und verpflichtet zu nichts. Sie ist Spiel im Ernst, heitere Paraphrase über ein Temperament“.