room for humour

Press Archive 2012

Read article

Fürther Nachrichten, 23.05.2012, CLAUDIA WUNDER

 

Eine atemberaubende Bildsprache

Ingrid Christie hat das Leben aus der Perspektive des Theaters beleuchtet

Ingrid Christie vor zwei Arbeiten ihrer Plakatserie im Theaterfoyer. Hier zeigt sie sich als Meisterin der grotesken Collage. Foto: Hans-Joachim Winckler

Welcher Titel könnte besser zu einer Ausstellung im Stadttheater passen als „Theatrical Realities“? Keiner – zumal wenn der Bezug zum Haus auch noch so konkret ist, wie bei den Plakat-Collagen der Engländerin Ingrid Christie.

 

Es ist der unkontrollierte Moment des Zufalls, den sich Ingrid Christie für ihre Arbeiten zu Eigen gemacht hat. Denn Basis für ihre Plakat-Serie sind von ihr zufällig ausgewählte Veranstaltungen aus dem Spielplan 2011. Deren Aufführungsdatum musste eine Primzahl sein, also beispielsweise der 23.7. oder der 7.3..

 

Christie machte sich mit den Inhalten der Schauspiele und Konzerte vertraut und stellte sie in eine Wechselbeziehung zu einer – nun bewusst getroffenen – Auswahl an Geschehnissen in der Weltpresse, die sich an den jeweiligen Tagen ereignet hatten. Auf diese Weise verknüpft die Künstlerin motivisch die Ereignisse, die zwar gleichzeitig, aber ohne Bezug und inhaltliche Bindung zueinander stattfanden, zu einer bildkünstlerischen Form. Ingrid Christie, die ihr Kunststudium an der Universität von Central Lancashire mit Auszeichnung absolvierte, gilt als virtuose Collagistin. Ihr Handwerkzeug ist, abseits aller digitalen Möglichkeiten, die Schere. Wollte man eine historische Bezugsgröße finden, käme wohl die Dadaistin Hannah Höch in den Sinn, die durch ihre geschnittenen und geklebten Werke internationalen Ruhm erfahren hat. Auch sie zielte auf Verstörung ab, forderte, wie auch Christie, den Betrachter auf, unverstellt und umfassend auf das zu schauen, was ist, auch wenn es schmerzhaft sein sollte.

 

So nutzt Ingrid Christie etwa die Aufführung des Opernspaßes „Blau an der schönen Donau“ vom 5.3.11 zu einem Querschläger auf die Real-Groteske um den italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi. Oder der absurde Totentanz „Das große Massakerspiel“ von Eugène Ionesco, aufgeführt am 17.7.11. jede Szene endet hier im Sterben – und die Künstlerin fand hier einen passenden Bezug im Finale der Fußballweltmeisterschaft der Frauen. Hier wie dort ein Spiel. Hier wie dort Ernst.

 

Der Sieg der Japanerinnen im Elfmeterschießen – angesichts der atomaren Katastrophe in Fukushima Balsam auf die Seele des Landes – kam den Topfavoriten, den Amerikanerinnen, wie ein kleiner Tod vor. Christie transformiert dies in eine aufregende Bildsprache: Die Umrisse einer eher kantigen Weiblichkeit sind vor dem Foto einer männlichen Brust positioniert, die v6n einer Art wuchernden Ekzem befallen ist, anstatt des Kopfes thront ein Fußball in den Nationalfarben Japans auf dem Kopf der stilisierten Frau.